Pflanze des Monats 2024
November: Baum-Osterluzei (Aristolochia arborea Linden)
Im November kehrt Ruhe ein im botanischen Garten am Altenbergrain. Die restlichen Blätter fallen vom erst noch goldenen Ginkgo und die letzten Farbtupfer im Freiland verblassen. Nun lockt ein Besuch in die wohlig warmen Schauhäuser, wo viele Grüntöne und tropische Blüten gegen den Winterblues wirken. Eine Blütenform fällt dabei besonders auf: die der Baum-Osterluzei
Rätselhafte Pfeifenblumen
Die Familie der Pfeifenblumen oder Osterluzeigewächse (Aristolochiacae) ist in mancher Hinsicht eine seltsame Gruppe, sei es aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht oder in Bezug auf die Blütenform. Osterluzeigewächse sind sehr urtümliche Blütenpflanzen. Sie faszinieren mit ungewöhnlichen Blüten und zum Teil seltsamen Bestäubungsmechanismen. Die meisten der rund 500 Arten der Osterluzeigewächse sind in den Tropen und den Subtropen zuhause, doch auch in der einheimischen Flora finden sich drei Vertreter aus zwei Gattungen mit den typischen, pfeifenförmigen Blüten.
Der Trick mit dem Pilz
Die vielleicht aussergewöhnlichste Vertreterin der Familie ist die Baum-Osterluzei. Sie lockt ihre Bestäuber mit einer cleveren Illusion an: Wucherungen im Innern ihrer Blüten sehen Pilzen täuschend ähnlich und verströmen einen kampferartigen Duft. Dieser zieht Pilzmücken an, die eigentlich Eier auf echten Pilzen ablegen würden. Doch sobald die Mückenweibchen in die Blüte kriechen, rutschen sie auf den glatten Zellen am Blüteneingang in eine Kesselfalle. Dort gefangen, versuchen sie über den helleren Blütenausgang zu entkommen – genau der Ort, an dem die Pflanze die Narben platziert hat. Sobald die Narben bestäubt sind, reifen die Staubblätter und bedecken die Mücken mit frischem Pollen, bevor die Blüte welkt und ihre kleinen Gefangenen wieder freigibt. So bestäubt die Mücke unwissentlich die nächste Blüte. Die in der Natur sehr seltene Art ist im Herzen des Palmenhauses zu bewundern.
Oktober: Sauerbaum (Oxydendrum arboreum (L.) DC. L.)
Wenn man von der lärmigen Lorrainebrücke in den ruhigen Botanischen Garten gelangt, so ist es jedes Mal ein Eintauchen in eine friedliche, vielfältige Welt. Im Oktober ist das Eintauchen besonders schön, denn nun erstrahlen viele Laubbäume in den prächtigsten Herbstfarben und jeder Spaziergang wird zum Tauchgang im Farbenmeer.
Farbenkünstlerfamilie
Fast macht es den Eindruck, als wollten sich die Bäume im Garten gegenseitig die Show stehlen. Da misst sich das rotorange Farbenspiel des Amber-Baums (Liquidambar occidentalis) mit dem Gold der verschiedenen Lärchen, es protzt der Ginkgobaum (Ginkgo biloba) mit seinen leuchtend gelben Blättern und im Alpinum flammen zahlreiche Zwergsträucher rot auf. Über eine besonders auffällige Farbpalette verfügen die Erikagewächse. Während im Oktober bei den einheimischen Arten Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) und Alpen-Bärentraube (Arctostaphylos alpinus) in der Natur für prächtige Farbtupfer sorgen, lässt der Sauerbaum aus der gleichen Familie im Nordamerikanischen Waldgarten schon fast vermuten, jemand hätte seine Blätter in rote Ölfarbe getaucht.
Farbiger Gruss aus dem Indian Summer
Nirgendwo auf der Welt sind die Herbstfarben leuchtender als im «Indian Summer» an der amerikanischen Ostküste. Von dort stammt auch der Sauerbaum, dessen hübschen weissen Blümchen sogleich verraten, dass er mit Erika und Heidelbeere verwandt ist. Anders als letztere entwickelt der rund zwanzig Meter hoch werdende Baum keine saftigen Beeren, sondern trockene Kapselfrüchte. Dennoch kann der Baum genutzt werden: Sein Holz gilt als wertvoll, die Blüten liefern reichhaltigen Nektar für süssen Honig und die sauer schmeckenden Blätter können verzehrt werden und gelten als leichtes Abführmittel.
Ganz sicher peppt der Baum aber trübe Herbsttage auf – das Farbenspiel im Oktober sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.
September: Bittersüsser Nachtschatten (Solanum dulcamara L.)
Der September ist der Monat der Früchte und des Herbstbeginns. Träge fliesst die Aare in diesen Tagen und überall leuchten farbige Früchte aus den Blättern, welche nicht mehr so keck grün sind, sondern sich spätsommerlich gelblich verfärben. Bei den Nachtschattengewächsen ist jetzt Hochbetrieb: Noch blüht der Stechapfel und an den Tollkirschen hängen verführerisch glänzend die giftigen Beeren. Am schönsten präsentiert sich in diesen Tagen aber der Bittersüsse Nachtschatten.
Violett, gelb und rot
Wer es gerne bunt hat, wird am Bittersüssen Nachtschatten Gefallen finden. Die violetten Blütenblätter dieser Giftpflanze stehen in lautem Kontrast zu den auffälligen, gelben Staubblättern. Nach der Blüte entwickeln sich die Beerenfrüchte schnell zu leuchtend roten Lieblingen vieler Vogelarten. Bienen und Hummeln mögen die farbenfrohen Blüten und sorgen mit ihren schwingenden Flügeln für die sogenannte Vibrationsbestäubung. Diese funktioniert wie folgt: Die Staubbeutel des Bittersüssen Nachtschatten haben am äussersten Ende Öffnungen, durch die der Pollen ausgestreut werden kann. Hummeln erzeugen mit ihrem Flügelschlag Frequenzen, welche den Pollen wie aus einem Salzstreuer rieseln lassen und so die anfliegenden Tiere einstäuben.
Einheimischer Verwandter der Kartoffel
Wer sich im Gemüsegarten auskennt, bemerkt schnell, dass der Bittersüsse Nachtschatten ein naher Verwandter von Kartoffel, Aubergine und Tomate ist. Bei etlichen Nachtschattengewächsen wurde die Giftigkeit mit gezielter Selektion weggezüchtet. Anders als die feinen Knollen aus dem Bodensind die Früchte der Kartoffel aber leicht giftig. Der Bittersüsse Nachtschatten ist eine wichtige CWR-Art, also ein wilder Verwandter unserer Kulturpflanzen und sollte deshalb besonders geschätzt werden. Für Wildblumengärten ist er sehr zu empfehlen, denn mit seiner langen Blütezeit, dem Nahrungsangebot für Insekten und den kräftig rot leuchtenden Früchten ist er in jeder Hinsicht eine wertvolle, einheimische Gartenpflanze.
August: Wanderheide (Erica vagans L.)
Das Licht ist schon wieder spätsommerlich und die Mauersegler haben bereits begonnen, gegen Süden zu ziehen. Nach dem feuchten Frühsommer blüht es im botanischen Garten zwar noch fröhlich bunt, doch eine Erika-Art verrät uns: Der Sommer hat seinen Zenit schon überschritten.
Hübsche Blüten und viele Namen
Die Wanderheide trägt auf Lateinisch den Namen «vagans», was «wandernd» heisst. Linné, welcher die Art beschrieben hat, wollte dabei auf das grosse Verbreitungsgebiet hinweisen. Einer der vielen volkstümlichen Namen lautet Cornwall-Heide, weil die Art im Golfstromklima des englischen Südwestens besonders gut gedeiht und als Nationalblume der Grafschaft Cornwall gilt. Aus den hübschen rosafarbenen Glöckchen ragen zur Blütenzeit die dunkeln Staubbeutel hervor und verleihen dem Blütenstand so einen besonderen Zauber – es scheint fast, als wären die Blütchen von einer dunkeln Rüsche gesäumt. Bis vor 30 Jahren konnte die Art auch noch in der Schweiz, bei Jussy an der Landesgrenze im Genfer Hinterland, bewundert werden. Heute ist sie leider in der Schweiz ausgestoben.
Coole Erikas
Ähnlich wie Kakteen oder Orchideen haben auch Erica-Arten eine grosse Fangemeinde. So gibt es an verschiedenen Orten in der Welt «heather societies» bei denen sich alles um die Erika dreht. Unschwer, sich in diese schöne Gattung zu verlieben! Mit über 800 Arten gehören die Heidekräuter zu den ganz grossen Gattungen. Dabei sind die meisten Arten im südlichen Afrika zu finden. Dort gibt es Erikablüten, die mehrere Zentimeter lang, rot-gelb gestreift sind und wie frisch lackiert wirken. Heute weiss man, dass die Gattung zwar in Europa entstanden ist, mit ihrer Ankunft im südlichen Afrika aber eine ausserordentliche Artbildung erfahren hat. In der Wissenschaft nennt man eine solche Artenexplosion «Radiation». Bis heute ist nicht abschliessend geklärt, warum es gerade im Kapland so viele verschiedene Heidekräuter gibt. Eine Anpassung an die vielfältigen Bestäuber ist aber sicher ein wichtiger Grund.
Juli: Artischocke (Cynara cardunculus L.)
Juli ist Artischockenmonat. Um sie frisch als Gemüse zu geniessen, geht es zwar schon bald in die letzte Runde. Aber auch eingemacht passen sie hervorragend in einen Sommersalat. Der schönste Weg, der Sommerkönigin zu begegnen, führt allerdings nach einem kühlen Aarebad in den Heilpflanzengarten, wo sich im Juli ihre blauen Blütenstände öffnen.
Röhrenblüten und fleischige Böden
Artischocken gehören in die riesige Familie der Korbblütler und sind nahe Verwandte von Disteln und Kornblumen. Typisch an Korbblütlern sind ihre oftmals unzähligen Blüten, die in einem «Körbchen» daherkommen. Anders als die weitum bekannte Margerite, welche Zungen- und Röhrenblüten hat, weist die Artischocke, wie zum Beispiel auch die Distel, nur Röhrenblüten auf. Aber was für eine Pracht stellt das Röhrenblüten-Feuerwerk dar, wenn die Artischocke erst in Blüte steht. Fast unverzeihlich und barbarisch scheint es, dass die ungeöffneten Blütenköpfe verschlungen werden. Der Blütenboden der Artischocke ist dick und fleischig und stellt eine Delikatesse dar. Auch die in der Schweiz einheimische Silberdistel (Carlina acaulis) hat einen etwas fleischigen Blütenboden, der ebenfalls zart und aromatisch ist. Aber Hand auf Herz – sowohl Silberdistel als auch Artischocke sind eigentlich zu schade für den Teller
Schmackhaft und erst noch gesund!
Ein Kompromiss ist, wenn man jeweils nur ein paar wenige Artischockenköpfe dem Gaumen widmet und die anderen blühen lässt. Dabei tut man sich auch etwas Gutes, denn die Artischocke ist eine Heilpflanze und ihr Bitterstoff Cynarin regt die Lebertätigkeit an. Im Heilpflanzengarten steht sie deshalb bei der Gruppe der Bitterstoffe. Artischocken und ihre Extrakte gelten als appetitanregend und verdauungsfördernd. Sogar aphrodisierend sollen sie sein. Der fleischige Boden enthält aber auch schlecht verdaubare Zucker, die zu Blähungen führen können. «Geniessen in Massen» ist also das richtige Rezept – und jeder stehen gelassene Artischockenkopf dankt es einem im Juli mit einem wunderbaren blauen Blütenfeuerwerk.
Juni: Purpur-Klee (Trifolium rubens L.)
Im Schönheitswettbewerb der Kleearten würde sich der Purpur-Klee bestimmt in den vordersten Rängen positionieren. Mit seinen langgezogenen leuchtenden Blütenständen gehört er zum Schmuck der trockenwarmen Säume und wird gerne von Bienen und Hummeln besucht wird.
Rote Zapfen und riesige Nebenblätter
Typisch für Kleearten (Gattung Trifolium) sind die drei Teilblättchen. Zudem haben Schmetterlingsblütler, zu welchen Klee gehört, meist auch auffällige Nebenblätter. Dies sind blattähnliche Auswüchse des Blattgrundes, also der unterste Teil des Blattes. Beim Purpur-Klee sind diese riesig und länger als die Blattstiele und dies ist auch eines seiner wichtigsten Merkmale. Mit seinen langgezogenen Blütenständen würde man ihn aber auch sonst kaum mit anderen rotblühenden Kleearten verwechseln. Im deutschen Sprachraum wird er oftmals auch Fuchsschwanz-Klee genannt. Der Purpur-Klee ist eine charakteristische Art des trockenwarmen Krautsaums, eines blumenreichen Lebensraumes. Wer den hübschen Burschen in freier Natur sehen möchte, begibt sich am besten an den Jura-Südfuss oder ins Wallis. Oberhalb der Weinberge am Bieler- und Neuenburgersee ist er zum Beispiel regelmässig anzutreffen.
CWR von Bedeutung
Als naher Verwandter vom Rot-Klee (Trifolium pratense), der vielleicht zu den wichtigsten Futterpflanzen überhaupt in der Schweiz zu zählen ist, gilt der Purpur-Klee als wichtige CWR-Art. Mit CWR (Abkürzung für crop wild relatives) werden die wilden Verwandten der Kulturpflanzen bezeichnet. Während Rot-Klee felderweise angebaut wird und auch natürlicherweise eine häufige Art ist, so ist der Purpur-Klee eine eher seltene Wildpflanze in der Schweiz. CWR-Arten gelten als besonders schützenswert. Als nahe Verwandte von Kulturpflanzen spielen sie eine wichtige Rolle bei zukunftstauglichen Züchtungen und dienen als wichtiges Gen-Reservoir. Wer den Weg ins Wallis oder den Jura scheut, kann den Purpur-Klee jetzt im Botanischen Garten bewundern, wo er ein zentrales Element in der Ausstellung «Verkannte Verwandte» ist.
Mai: Wasserfeder (Hottonia palustris L. )
Schwimmende Primeln? Das können sich auch phantasievolle Pflanzenkenner:innen nicht vorstellen. Doch die Wasserfeder gehört tatsächlich der Familie der Primelgewächse an und wenn im Mai ihre herrlichen Blütenstände in Vollblüte stehen, so kann man die Verwandtschaft zu den «Primeli» im Garten durchaus erahnen.
Schwimmende Blütenwolken
Für die Wasserfeder können sich sogar diejenigen begeistern, welche sonst mit Wasserpflanzen nicht viel am Hut haben. Die leuchtend hellgrünen Unterwasserblätter sind fein kammförmig fiederschnittig und wären die Zierde jedes Aquariums. Im Wonnemonat Mai zeigt sich die Wasserfeder von ihrer schönsten Seite. Nun ragen die eleganten Blüten über den Wasserspiegel und die weissen, manchmal leicht rosa angehauchten Blütenstände ziehen eine grosse Insektenschar an. Bienen und Hummeln wissen, dass diese weissen Inseln gute Nektarquellen sind. Wenn die Wasserfeder erfolgreich bestäubt wird, bildet sie Kapselfrüchte aus. Die Samen sind «hydrochor», also vom Wasser getragene und können sich so über grössere Distanzen verbreiten.
Seltene Kostbarkeit
Die Wasserfeder gehört zu den seltensten Pflanzen der heimischen Flora und gilt in der Schweiz als stark gefährdet. Wie bei vielen Wasserpflanzen ist ihr starker Rückgang auf die Zerstörung der natürlichen Lebensräume zurück zu führen etwa der Trockenlegung von Wassergräben und Altwässer. Leider wird die Wasserfeder oft aus unbekannten Herkünften im Gartenhandel angeboten und etliche Vorkommen in der Schweiz sind illegale «Ansalbungen», und wurden mit falsch verstandener Naturliebe in Naturschutzgebieten ausgebracht. Die Wasserfedern im botanischen Garten blühen jeden Frühling prächtig. Wer sie in «freier Wildbahn» sehen möchte, dem empfiehlt sich ein Ausflug zu den verwunschenen Flusslandschaften der Alten Zihl bei Meienried im Seeland. Wenn die weissen Blütenwolken über dem Wasser stehen, ergibt das waschechte Märchenbilder.
April: Oranges Spaltkörbchen (Schisandra sphenanthera Rehder & E.H.Wilson)
Ein Ausflug in den Asienteil des Botanischen Gartens ist im April eine besonders gute Idee. Bei Kirschblüten und blühendem Perlschweif kommt nach den Wintermonaten Frühlingsstimmung auf. Wenn im Ostermonat die hübschen Blüten des Orangen Spaltkörbchens aufgehen, dann ist der Frühling trotz gelegentlichen Wetterkapriolen ganz ins Land gezogen.
Die fröhliche Kusine des Sternanis
Die Blüten der Spaltkörbchenarten sind ungewöhnlich: Die zahlreichen, verwachsenen Staubblätter der männlichen Blüten, aber auch die vielen spiralig angeordneten Fruchtblätter der weiblichen Blüten sorgen für ein interessantes «Innenleben». Die attraktiven orangeleuchtenden Blütenblätter stehen in wunderbarem Kontrast zu den sattgrünen Blättern, die gleichzeitig mit der Blust erscheinen. Vergebens versucht man verwandtschaftliche Banden zu einheimischen Gewächsen zu suchen. Die sehr ursprüngliche Familie der Sternanisgewächse (Schisandraceae), zu denen auch der vom Glühwein bekannte Sternanis (Gattung Illicium) gehört, fehlt in Europa gänzlich.
Ungewöhnliche Beeren gegen (fast) alles
Die Spaltkörbchen-Arten werden auf Deutsch auch Beerentraube oder Fünf-Geschmäcker-Beeren genannt. Der Geschmack der Schisandra-Früchte ist wirklich ungewöhnlich und schwankt zwischen süss, bitter, sauer und manchmal sogar salzig. In der chinesischen Medizin sind die Früchte von Schisandra sphenanthera als "Nan-Wuweizi" bekannt und bieten neben Genuss auch Unterstützung bei Hautkrankheiten. Häufiger angeboten werden die Beeren von "Bei-Wuweizi" des nahe verwandten Chinesischen Spaltkörbchen (Schisandra chinensis). Ihnen wird eine positive Wirkungen auf Leber, Atmungssystem, Zentralnervensystem und Herz-Kreislauf-System nachgesagt. Was aber in jedem Fall einen sehr positiven Einfluss auf das Wohlbefinden hat, ist eine Frühlingsspaziergang durch den Asienteil mit Ziel Oranges Spaltkörbchen. Wenn man die leuchtenden Blüten der Kletterpflanze betrachtet und dabei dem Lied der Amseln lauscht, so ist das Wohltat für Leib und Seele!
März: Turkmenische Alraune (Mandragora turcomanica Mizgir.)
Wer in diesen ersten Frühlingstagen ins Steppenhaus tritt, wird von einem farbigen Blumenreigen empfangen. Es duellieren sich leuchtende Tulpen mit grazilen Schwertlilien, zarte Bisamhyazinthen verströmen einen süssen Duft und Schachbrettblumen schaukeln ihre Köpfchen im Frühlingswind. Eine thront mittendrin und wirkt irgendwie dennoch fehl am Platz: Es ist die Turkmenische Alraune.
Seltenes Nachtschattengewächs
Die dunkeln Blüten und die mangoldähnlichen Blätter sind im Steppenhaus eher eine ungewöhnliche Erscheinung. Hier sind die Pflanzen eher schmalblättrig, zierlich, elegant. Dennoch ist die Turkmenische Alraune eine echte Steppenpflanze. Beheimatet ist sie im Kopet-Dag-Gebirge, einem Gebirgszug zwischen Turkmenistan und dem Iran. In den Wintermonaten entwickeln sich ihre grossen, dunkelgrünen Blätter und meist blüht sie auch in den feuchten Winter- und Frühlingsmonaten. Wenn hingegen die heissen Steppenwinde im Sommer durch das Gebirge fegen, fällt sie in einen sommerlichen Dornröschenschlaf. Die Turkmenische Alraune ist eine Rarität: Bei einer Zählung in den 90er Jahren wurden weit weniger als 1000 Exemplare in der Wildnis gezählt und sie gilt als vom Aussterben bedroht.
Schreiende Wurzeln und süsses Gift
Zur Mythologie der Alraunen (Gattung Mandragora) könnten Bücher gefüllt werden. Allen drei beschriebenen Mandragora-Arten ist gemeinsam, dass sie giftig sind und aussergewöhnlich geformte Wurzeln haben, die menschenähnliche Formen haben. Früher glaubte man, dass diese «Männchen» einen todbringenden Schrei ausstossen, wenn sie aus dem Boden gezogen werden – ein Glaube, der es mit den Harry-Potter-Bänden bis in die Neuzeit geschafft hat. Die Turkmenische Alraune wurde auch medizinisch und sogar als Nahrungsmittel verwendet – erstaunlich, ist doch die ganze Pflanze und auch ihre süssen Früchte sehr giftig. Bei einem Augenschmaus im Steppenhaus besteht allerdings keine Gefahr.
Februar: Rosa Paukenschlegel (Isopogon formosus R.BR.)
Die Verwirrung fängt beim deutschen Namen an: Rosa Paukenschlegel, Australische Buschblüte oder vielleicht doch eher, in Anlehnung an den wissenschaftlichen Namen, Schöner Gleichbart? Sicher ist, an den rosa Blütenständen im Gondwanahaus lässt sich im Februar nicht einfach vorbeigehen!
Göttliche Australierin mit Bart
Vieles an Isopogon formosus kann verwirren: Sind die rosafarbenen Gebilde mit den gelben Enden tatsächlich Blüten – oder hat da jemand in fastnächtlichem Übermut das Gondwanahaus dekoriert? Was sollen diese seltsamen Blätter, die wie geometrische Plastikkonstruktionen anmuten? Und wie soll man diese Pflanze aus der Familie der Silberbaumgewächse auf Deutsch korrekt nennen? Silberbaumgewächse tragen den wissenschaftlichen Namen Proteaceae. Sie sind nach dem griechischen Gott Proteus benannt, welcher dafür bekannt war, dass er oft seine Gestalt verändert. Zu der vielgestaltigen Familie passt der Name bestens. Übersetzt man den lateinischen Artnamen, kommt dies dabei heraus: iso = gleich; pogon = Bart (wegen den behaarten Blüten) und formosus = ansehnlich oder schön; zusammen also «Schöner Gleichbart». Tatsächlich hat die Art aber keinen deutschen Namen und so kann man, ausgehend vom australischen «pink drumstick», genauso gut «Rosa Paukenschlegel» verwenden.
Heimat Westaustralien
Die ungewöhnliche Pflanze ist südlich von Perth im mediterranen Westaustralien zu Hause, wo sie im Südsommer blüht und regelmässig in den Eukalyptuswäldern anzutreffen ist. Genügsam wie sie ist, gedeiht sie auch auf kargen Granitböden. Mit kühleren Temperaturen kommt sie zurecht, hingegen ist sie sehr empfindlich auf Bodenfeuchte, Kalzium und Phosphor. Als Zimmerpflanze ungeeignet geniesst man sie am besten im Berner Gondwanahaus.
Januar: Sulawesi-Kannenpflanze (Nepenthes eymae SH.KURATA)
Januar ist der perfekte Monat, um der üppigen Tropenflora im Botanischen Garten Bern einen Besuch abzustatten. Wenn draussen alles im Winterschlaf ruht, dann ist eine Exkursion in die vielfältige Dschungelvegetation genau das richtige – insbesondere, da einem lange Reisen und Gefahren erspart bleiben. Vor karnivoren Pflanzen müssen sich zwar auch echte Tropenreisende nicht fürchten, doch die «göttliche Ordnung» des Fressens-und-Gefressenwerdens stellen diese faszinierenden Gewächse immer wieder auf den Kopf. Und so kann man an den Fallen der Sulawesi-Kannenpflanze (Nepenthes eymae) in der Vitrine im Orchideenhaus nicht einfach vorbeiziehen: Die zu Gefässen umfunktionierten Blätter gehören zum Seltsamsten, was das Pflanzenreich hervorgebracht hat.
Kind der Tropen
Der holländische Botaniker Pierre Joseph Eyma entdeckte und sammelte die Art 1938 im Herzen der heute zu Indonesien gehörenden Insel Sulawesi ein erstes Mal für die Wissenschaft. Formell wurde die Art aber erst rund 50 Jahre später beschrieben. Der wissenschaftliche Name ehrt Eyma, der ein Pionier der Tropenbotanik Indonesiens war. In der Natur kann die Kletterpflanze bis acht Meter lang werden. Typisch für Kannenpflanzen sind die umgeformten Blätter, wobei die Kannen am Boden meist ganz anders aussehen, als die der kletternden Triebe. Wie alle Kannenpflanzen wächst Nepenthes eymae mit einem «Zubrot» aus tierischen Proteinen besonders gut.
Bizarre Welt der Kannenpflanzen
Die Kannen dieser Art sind auf der Innenseite mit einem klebrigen, zähflüssigen Belag versehen, der wie ein Fliegenpapier wirkt. Gefangene Insekten gleiten nach unten in die Verdauungsflüssigkeit, wo sie zersetzt werden. Andere Kannenpflanzenarten nutzen noch weitere Tricks, um an tierischen Dünger zu gelangen, etwa indem sie Fledermäusen einen Tages-Unterschlupf anbieten und vom zurückgelassenen Tierkot profitieren.